Donnerstag, 24. Januar 2013

Yoshida Tatsuya & Uchihashi Kazuhisa - Barisshee (Tzadik)


Ich gehöre zu der Gattung von Jäger und Musiksammler, die in ihrer Kollektion mehr Wert auf Breite denn auf Tiefe legt. In anderen Worten: Zumeist begnüge ich mich mit ein, zwei Tonträgern desselben Künstlers, da ich oft das Gefühl habe, dass er oder sie damit ohnehin alles gesagt hat, was zu sagen war. Eine der wenigen Ausnahmen stellt allerdings die japanische Schlagzeuglegende Yoshida Tatsuya dar; In meiner Sammlung liegt die Zahl der Aufnahmen mit seiner Beteiligung im satten zweistelligen Bereich. Daraus lernen wir zweierlei: Zum einen, dass der Verfasser dieser Zeilen eine gewisse Wertschätzung für den Meisterdrummer hat (und hoffnungslos dem Nerdtum verfallen ist). Zweitens, dass der gute Tatsuya ein ungemein produktiver Musiker ist, der insbesondere seit dem Ende der Ruins (als Duo) mit vielen – meist japanischen – Avantgardemusikern aufgenommen hat. Darunter finden sich so illustre Namen wie die Pianistin Satoko Fujii oder der Gitarrorist Keiji Haino, wobei freilich nicht immer alles Gold ist, was glänzt. Barisshee, live aufgenommen in der – richtig geraten – Bar Isshee, fügt der langen Liste einen weiteren Namen hinzu, obwohl diese Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Uchihashi Kazuhisa nur für Westler eine Premiere darstellt – in Japan sind bereits mehrere Duoaufnahmen der beiden erschienen.

Die Musik auf Barisshee besteht aus Liveimprovisationen, und wie bei einem Gespräch zwischen einander unbekannten Partnern, so steht auch bei musikalischer Improvisation nie vorab fest, was herauskommen wird: Werden die Beteiligten aneinander vorbei reden, wird sich peinliches Schweigen breitmachen, oder werden wir Zeugen eines schwindelerregenden Schlagabtauschs zwischen den Dialogpartnern? Glücklicherweise liegen Yoshida und Uchihashi, wie man sagt, „auf einer Wellenlänge“, und was wir hier zu hören bekommen, ist ein Streitgespräch auf höchstem Niveau. Während Yoshida zumeist einen Rhythmus wie Zappas Nähmaschine vorgibt, schlüpft Uchihashi in eine Unzahl musikalischer Rollen, vom langhaarigen Psych-Rock Gitarristen über den resigniert wippenden Bluesman, vom fingerfertigen Jazzrocker im Hawaiihemd bis hin zum Tabletop-Soundtüftler. Vor allem die längeren Stücke wissen zu gefallen, wenn sich die beiden Musiker treiben lassen und selbst von den unwahrscheinlichen Sounds überrascht werden: Hier sei stellvertretend nur Dheffdaghizhum genannt, in dem Yoshida – Wave Drum sei Dank – wie ein Gamelanorchester in Fast-Forward klingt.
Die große stilistische Vielfalt, das Spiel mit unterschiedlichen Genres macht den Vergleich mit Naked City nahezu unvermeidlich – und doch sind bedeutsame Unterschiede zu verzeichnen: Während Naked City auf den Schock des unvermittelten Stilbruchs setzen, ist Barisshee eher durch ungezwungenes Mäandern geprägt; Yoshida und Uchihashi kommen vom „Hundertsten ins Tausendste“, sie sind nicht darauf aus, eine postmoderne Collage herzustellen – die Musik entwickelt sich gleichsam natürlich, aus sich selbst heraus (schließlich sind das hier Improvisationen). Darüber hinaus sind diese Genre-Versatzstücke hier eher Paraphrasen als Zitate, will sagen, sie stehen nicht als Fremdkörper im Äther, sondern werden angeeignet, Teil der Textur, Teil des übergeordneten „Narrativs“, was in diesem Fall jener „Alien Rock“ ist, den wir von Ruins, Ground Zero und natürlich den großen Massacre kennen. All das macht Barisshee hörbarer, wenn nicht sogar hörenswerter als Naked City.

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