Dienstag, 18. Dezember 2012

Scott Walker - Bish Bosch (4AD)

Viele, viele Seiten wurden schon mit Scott Walkers seltsamem Werdegang vom Popstar zum Avantgarde-Musiker gefüllt. Eine interessante Geschichte, keine Frage – vor allem wenn man versucht, den Beweggründen, den dahinterstehenden biographischen Wechselfällen nachzuspüren. Noch bemerkenswerter als diese – schon für sich genommen – keineswegs alltägliche Wandlung ist jedoch die Nachhaltigkeit, mit der Walker seine „neuen“, selbst gesetzten Ziele verfolgt: Nie entsteht der Eindruck, der ehemalige Chartstürmer hätte diese seine Richtungsänderung aus Publicitygründen (oder um sich die Anerkennung der Kunstwelt zu sichern, was ja nicht wenige Hollywoodstars versuchen) vollzogen; Nein, Scott Walker tut, was er tun muss, die nach und nach „schwieriger“ werdenden Alben der letzten Jahrzehnte sind Produkte seiner Überzeugung, nicht des sozialen Drucks (In dieser Nachhaltigkeit lässt sich Walker, nebenbei bemerkt, vielleicht nur mit David Sylvian vergleichen).
Freilich, Authentizität ist noch lange kein Garant für gute Musik, und die nackten Fakten, das neue Werk Bish Bosch betreffend, nötigen zur Skepsis. 73 Minuten Spielzeit, eine Band, ein Orchester, elektronische Manipulationen, Macheten (!) und Darmwinde (!!) als Geräuschproduzenten lassen zunächst das Schlimmste, eine lachhaft prätenziöse Geisterbahnfahrt, befürchten….Hat sich Walker, nach dem ohnehin schon sehr ambitionierten The Drift, hier nicht vielleicht doch verhoben?

Die Antwort ist schnell gegeben, auch wenn sich das Album, wie schon angesprochen, dafür etwas länger Zeit lässt: Nein. Und was für ein Nein das ist! Selbst in den längsten, verworrensten Stücken wie SDSS1416+13B (Zercon, A Flagpole Sitter) – ein Stück, sperrig wie sein Titel – wandelt Walker gekonnt am schmalen Grat der Ironie, weder in billigen Klamauk noch in ebenso lächerlichen tierischen Ernst abrutschend. Diese 22 Minuten erzählen von einem Hofnarren des Hunnenkönigs Attila, wobei die Geschichte auf komplexe Weise von parallelen Erzählsträngen bzw. Metaphern durchkreuzt wird – denn da gibt es noch einen Braunen Zwerg, als kältester bisher entdeckter Himmelskörper eine geeignete Metapher für die Isolation des Narren, und natürlich Walker höchstpersönlich, der sich in den ersten Minuten offenbar selbst – im Gespräch mit einem Musikmanager? – zu Wort meldet, mit den unvergesslichen Worten „If Shit were Music, you’d be a Brass Band.“ Zugleich verdeutlicht Zercon, dass Walker bei allem Avantgardismus immer noch in der Singer-Songwriter Tradition steht, denn allein das erzählerische Moment verleiht der kaleidoskopisch anmutenden Fülle an Sounds, Stilen und Stimmungen – stampfende Noise-Rock Riffs, neutönerische Schwere, Drones aus den Weiten des Alls usw. – so etwas wie eine Einheit. Texte und Töne sind hier, wie am ganzen Album, eng verschränkt, und ohne erstere machen die Stücke wenig Sinn, es bedarf der Texte zur Orientierung, wie es zur Lösung eines Puzzles die Vorlage braucht – alles ist genau dort, wo es sein soll, wie auch die Pedal Steel Gitarre in Epizootics! inmitten von Big-Band Swing und Pop Group-würdig peitschenden Rhythmen  „am Platze“ ist, denn „Maman Neigho was frightened by Hawaiians.“
Ja, mit der Analyse dieses Albums könnte man ganze Bücher füllen, aber diese Bände werden, wie auch dieses Review, bestimmt nicht so lebendig und faszinierend wie Bish Bosch ausfallen. Bemerkenswert, dass dieses Werk nicht unter der Last seines eigenen Anspruchs zusammen bricht – ein Verdienst von Walkers Humor und Erzählkunst; Auf seine Weise ist Walker der Captain Beefheart unserer Tage, und dieses Werk sein Trout Mask Replica. Bish Bosh indeed.

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