Mittwoch, 12. Dezember 2012

Lovely Little Girls - Cleaning the Filth from a Delicate Frame (Skin Graft)


Gregory Jacobsens Bilder nähern sich dem Thema Sexualität auf eine Weise, die den normalerweise damit verbundenen symbolisch-politischen Ballast von dessen Schultern nimmt: Alle (un)möglichen Peinlichkeiten und Perversionen werden in groteske Farbexplosionen verwandelt; Situationen, die eigentlich zum Fremdschämen einladen, werden so dargestellt, dass das Lachen näher liegt als die Scham. Wer nun mit diesen Bildern vertraut ist, kann sich denn auch ohne weiteres, ähem, ausmalen, wie Jacobsens primäres musikalisches Ventil klingt: Ja, auch die Lovely Little Girls sind bunt, laut, grotesk und springen das Publikum förmlich an.
Wer unbedingt auf musikalischen Referenzen besteht, dem sei zunächst mit dem Hinweis auf das beteiligte Personal geholfen: Alex Perkolup, Chefsongwriter der „Girls“, hat schon für Cheer Accident und die Flying Luttenbachers Bass gespielt; Und Produzent Todd Rittman ist aus Bands wie US Maple und Dead Rider bekannt. Kurz gesagt, wir haben es hier mit einer bizarren (Prog)Rock-Mutation Chicagoer Provenienz zu tun. Die Girls legen denn auch gleich mit Massive Vulva Cantaloupe los, mit Dada-Prog der Cardiacs-Schule (das Video unterstreicht diese Assoziation noch einmal), bei aller Schrägheit mit einem unvergesslichen Refrain gesegnet. Darauf folgt Undulate, mit seinem fast operettenhaften Zeuhl-Pomp und den mächtigen Trommelsalven zweifellos in der Nähe von Magma und Koenji Hyakkei zu verorten. Aber die Lovely Little Girls sind musikalisch keineswegs monogam, sie sind nicht allein auf Prog eingeschworen, sondern geben ihre „erotischen“ Geschichten auch vor dem Hintergrund wiegender Reggae-Rhythmen, von Kabarettjazz, Skatgesang und dissonanten Bläsern (Poor-Fitted Boys), zum besten. Die Erotik dominiert auch I’m So Good-Looking, wenn auch eher die „erotische Begegnung der dritten Art“, von der in dieser Form wohl nicht einmal Baudelaire, Beschwörer der leichenhaften Schönheit, zu träumen gewagt hätte – wobei hier natürlich alles mit dem Lustmörder namens Humor im Bunde steht (wieder so eine Parallele zu Jacobsens Bildern). 
Cleaning the Filth from a Delicate Frame ist für den Prog das, was Jacobsens Bilder für das Thema Sexualität sind (und wird Prog-Rock nicht oft genug als „Masturbation“ abgetan?): Dieses Album lässt uns über das eigentlich Groteske an der Prog-Musik lachen, indem es diese auf die Spitze treibt; Dass, von dieser wohltuenden Ironisierung einmal abgesehen, auch Songwriting und Handwerk wirklich exzellent sind, ist dabei natürlich auch kein Nachteil (Vorsicht, Understatement!).

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