Freitag, 19. Oktober 2012

Noh Mercy - Noh Mercy (Superior Viaduct)


San Francisco war in den späten 1970er und frühen 80er Jahren so etwas wie der westliche Gegenpol zu New York: Die Stadt an der Pazifikküste hatte gewissermaßen ihre eigene „No Wave“, in Gestalt einer überaus lebendigen Art-Punk Szene. Einige wenige der daraus hervorgegangenen Bands – Tuxedomoon, später Flipper – haben überregionale Bekanntheit erlangt, während das Gros jener Szene weitgehend unbeachtet blieb. Um wenigstens einige dieser Künstler vor dem Vergessen zu retten, hat es sich das junge Label Superior Viaduct zur Aufgabe gemacht, Reissues und Diskographien ebendieser Bands bereit zu stellen – und Noh Mercy sind eine davon.

In den späten 70ern gegründet, brachte das rein weibliche Duo – „No Boys on Guitars“ – nur zwei Tracks auf dem mittlerweile legendären Earcom 3-Sampler in Umlauf; Der Rest ihres Schaffens wird erst durch die vorliegende Diskographie zugänglich. Eröffnet wird diese Werkschau von Caucasian Guilt, einem der beiden Sampler-Tracks: Der mächtige Punch des Schlagzeugs und der wütende, zwischen den Zähnen hervor gepresste Sprechgesang sorgen dafür, dass die Abwesenheit von Gitarren nicht einmal bemerkt wird. Textlich ist der Song mindestens ebenso bemerkenswert wie musikalisch, ein verzweifelter, polemischer (und letztlich zum Scheitern verurteilter) Versuch, sich von dem schweren „Rucksack“ an Schuldgefühlen loszusagen, der Menschen mit „weißer“ Hautfarbe (von den Privilegien, die damit einher gehen, müssen wir hier wohl nicht erst sprechen…) durch all die rassistischen Greueltaten der Vergangenheit (und Gegenwart) aufgebürdet ist – dabei aber keine Verdrängung, denn die Untaten werden sogar minutiös aufgelistet. Die Moral ist einfach, aber nicht von der Hand zu weisen: Es sind paradoxerweise gerade diese Schuldgefühle, die uns davon abhalten, die Grenzen im Kopf zu überwinden, den „Anderen“ unbefangen gegenüber zu treten.
Doch nicht alle Songs handeln von so befrachteten und schweren Themen, und auch musikalisch erweisen sich die beiden Musikerinnen als äußerst vielseitig, was uns zahlreiche Vergleichsmöglichkeiten an die Hand gibt: Mit den Slits verbindet Noh Mercy der Überschwang; mit den Minutemen die Verknappung und die schnalzenden Rhythmen (Pay the Devil); mit Crass – zu Penis Envy-Zeiten – haben sie den beißend-kritischen Humor und das Präzisionsdrumming gemeinsam (Revolutionary Spy); mit Teenage Jesus and the Jerks die brutalen Slide-Gitarren (Lines) – die Liste ließe sich fortsetzen.
Diese Diskographie ist ein Dokument der Musikalität, Energie, Kreativität – und trotz aller genannten Referenzen – fraglosen Eigenständigkeit dieser beiden Musikerinnen. Es nötigt darüberhinaus, die Geschichte des (Post-)Punk um- oder sogar neu zu schreiben. Danke, Superior Viaduct.

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